JOURNAL

COOLE MODE, NIX DAHINTER?

90S COMEBACK


Alles kommt wieder – könnte man plump sagen. Damit wäre das Kapitel des Revivals von unterschiedlichen Jahrzehnten als Inspiration für aktuelle Mode relativ schnell zu schließen.

Aktuell sind es die 90er, davor  – und auch noch immer – waren und sind es die 70er. Anlass genug, längst vergessene und eigentlich bereits tot geglaubte Marken wieder aus dem Boden zu stampfen, abzustauben und mit den zum Vorschein kommenden Logos Erinnerungen an Begehrlichkeiten zu wecken, Nostalgiegefühle auszulösen. 

Ästhetiken werden kopiert, in den eigenen Markenarchiven wird noch einmal nach der alten Farb- und Formsprache gegraben und der Logomania gefrönt, um Revival-Kollektionen auf den Markt zu hauen. Dad Sneaker und Heritage Pullover, Flanellhemden im Karo-Style, Logoshirts, Doc Martens, fette Daunenjacken, Grunge Looks und Co. sind die angesagten Kultobjekte der Stunde. So weit, so gut. Ein Look ist ein Look und man hat verstanden, das dieser aus den 90ern kommt und welche Pieces man braucht, damit man dem Original optisch möglichst nahe kommt. Was allerdings häufig nicht ankommt oder in einer Fussnote vermerkt wird, ist, warum die Jugend der 90er diese Kleidungsstücke getragen hat und ob vielleicht durchaus auch eine Art Motivation – vielleicht sogar Haltung – dahinterstand, die sich womöglich mit der künstlich polierten Neuauflage heute so gar nicht deckt. 

Die Anhänger des Grunge-Stils beispielsweise, der in den 90ern maßgeblich von Kurt Cobain, seiner Band und seiner Frau Courtney Love initiiert und von der amerikanischen Jugend populär gemacht wurde, hatten nämlich mit Konsum rein gar nichts am Hut. 

Sie waren eigentlich sogar überzeugte Konsumgegner. Ihre Anti-Mode passte bewusst nicht in die gesellschaftliche Norm – denn dort fanden sie sich selbst ebenfalls nicht wieder. Sie hatten wenig Geld, geringe Entfaltungsmöglichkeiten, schlechte Zukunftsperspektiven, kein Gefühl der Sicherheit und waren schlichtweg desillusioniert von ihren Elternhäusern und der Machtlosigkeit gegenüber der Politik. Sie fühlten sich bereits seit Beginn ihrer Existenz nicht gesehen, nicht gehört und eher wie das ungeliebte Kind einer Gesellschaft, die zuvor sehr eigennützig und verschwenderisch gelebt hatte und jetzt mit den schmuddeligen, antriebslosen Abhänge-Kindern und ihren lästigen Problemen nichts zu tun haben wollte. Ein Generationenkonflikt, in dem beide Seiten nicht mehr Unverständnis füreinander hätten aufbringen können. Deshalb lehnte die Jugend auch jegliche Form von Autoritäten ab und sprach sich gegen die Macht von einzelnen Menschen oder großen Konzernen aus.Diese melanchonisch wirkende Jugend wurde nicht ohne Grund als ‚Lost Generation der Neunziger‘ bezeichnet. Enttäuscht und resigniert über die Gesellschaft und ihr mangelndes soziales Verhalten, das nicht vorhandene Umweltbewusstsein und das Desinteresse gegenüber der eigenen Jugend.

Wenn man eine Haltung wirklich lebt, dann findet sie in zahlreichen Lebensbereichen ihren Ausdruck – auch in der Bekleidung und damit in dem, was dann zunehmend optisches Merkmal einer Jugendbewegung wird.

Lessness ist die Grundeinstellung der 90s Kids.

Keine Statussymbole, den Wert nicht an Gegenständen messend und unverkennbare Bescheidenheit. Aus dieser Zeit stammen auch die Aufnahmen der damals noch unbekannten und ungeschminkten, nicht zurecht gemachten Kate Moss, die heute durchaus Kultstatus haben. Ganz im Kontrast zu den durchgestylten, glamourösen 80ern trugen die 90s Musiker auf der Bühne bewusst nur Klamotten, die sie quasi ohnehin vorher schon den ganzen Tag getragen hatten – im Zweifel auch schon die ganze Woche. Die heute wieder stark gehypten Holzfällerhemden waren zu der Zeit eigentlich einfach nur billig zu kaufen, hingen gerne in Secondhand-Läden, waren ziemlich robust und haben dabei auch noch irgendwie gewärmt – ebenso wie Thermo-Unterwäsche. Die Gesamtheit der von ihnen gewählten Kleidungsstücke konnte und sollte alles, nur nicht neu aussehen und schon gar nicht eine Lanze für irgendeine konsumorientierte Marke brechen. Bio-Baumwolle und Bekleidung aus recycelten Materialien waren damals schon gefragt – dazu ausgeleierte und runtergerockte Strickpullis, kaputte Jeans und schlabberige Shirts – Frauen und Männer waren stilistisch auf Augenhöhe, der Fokus beider Geschlechter lag nicht auf geschlechtstypischen Merkmalen und schon gar nicht auf Attraktivität. Kurt Cobain verlieh dem Gedanken von Androgynität durch seine willkürliche und uneitle Querbeet-Vermischung aus Arbeiterkleidung und postmoderner Mode – gerade auch Frauenmode – ein rebellisches, authentisches Gesicht – und blieb dabei männlich und cool.

Alte Pullis und Poloshirts aus der Elterngeneration und den 70s, Klamotten von größeren Geschwistern, Unisex Sweater und Hoodies sowie durchgetragene Hosen und Schuhe lösten durchaus auch hierzulande eine Bewegung aus. 

Es lohnt sich daher tatsächlich sehr einmal einen Blick in dieses von Jugendkultur und Musik geprägte Jahrzehnt zu werfen. Wir befinden uns erneut an einem Punkt, an dem nicht nur der Zustand der Umwelt die Jugend auf die Straßen treibt, sondern auch nachhaltige Marken wie frisches Gras aus dem Boden sprießen, Secondhand-Kleidung durchaus wieder angesagt ist und Upcycling sowie Patchwork mit ihrem kreativen Mix und Match auch eine den Konsum betreffende Message haben. Rückblickend kann man ja immer aus der Vergangenheit lernen und bereits gemachte Fehler nicht wiederholen – denn davon gab es mit Blick auf die 90er und ihre Jugend zahlreiche und vernichtende. Es wäre weder richtig, diese Jugendkultur zu idealisieren, noch sie pauschal zu verurteilen. Aber gerade, wenn es um Bekleidung geht, hatte sie eine konsequente Haltung der Authentizität, die sich garantiert nicht in dem neuen, auf Oversized gemachten Dad-Pulli der nächsten Shopping Mall wiederfindet.

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